Dies ist das vollständige Kapitel 1 aus dem Buch vom unbeschwerten Leben
Dreh‘ Dich doch einfach mit
Geschwindigkeit zersplittert das Leben. Wer zu schnell ist, gerät ins Trudeln und verliert sich. Wer sagt, er müsse zu sich selbst finden, ist bereits von sich getrennt; so jemand ist eine zwiespältige Existenz. Von sich getrennt sein, ist eine Folge von zu schneller Bewegung. Menschen leben, als seien sie Zentrifugen, und wundern sich über ihr unausgeglichenes Leben. Es besteht kein Grund, dem Leben nachzulaufen. Wohin soll das führen? Doch nur von Dir fort, und dorthin willst Du nicht. Wer zu sich selbst kommen will, muss einhalten.
Der Witz an der Sache ist, Du bist bereits angekommen. Was tätest Du, wenn Du unbeschwert und glücklich wärst?
Siehst Du, Du musst Dich nicht selbst erwarten.
Wer sich im Gleichgewicht mit sich und den Dingen befindet, fliegt. Aber nicht wie ein Vogel oder wie eine Maschine fliegt, das wäre unelegant und laut, man würde darüber lachen. Die Dinge um uns sind keine Lasten, die es festzuhalten und zu tragen gilt. Wir wären schön dumm, denn die Dinge haben bereits einen festen Stand. Sie sind vielmehr wie die Blüten, auf die sich der Schmetterling hockt. Wir genießen Farbe und Nektar und den Himmel darüber. Was schert uns das Wachstum der Pflanzen, ob in diese oder jene Richtung?
Ist nicht das Leben ein Tanz? Wer kein Gleichgewicht halten kann oder es zu eilig hat, fällt auf die Nase. Wer festhält, tanzt nicht. Wer nicht loslassen kann, lebt nicht. Andere können Hilfestellung dabei leisten, aber man darf sich nicht anklammern, weil man sonst überhaupt nicht mehr in Bewegung kommt. Unverantwortlich leben, hieße das. Für nichts muss man geradestehen, aber man muss den Rücken krumm machen. Andere bürden sich Verantwortung auf und Dir alles übrige.
Ein Gleichgewicht konstruiert man nicht, man plant es nicht. Es stellt sich von selbst ein, sobald man die Dinge geschehen lässt. Vögel fliegen im Wind, Pflanzen biegen sich darin. Der Mensch friert, schimpft und denkt an warme Räume. Wer so vorgeht, muss vor Kälte zittern, anstatt sich treiben zu lassen und die eigene Leichtigkeit zu genießen.
Vielleicht hast du den Eindruck, es gäbe zu viele Ereignisse, zu vieles passierte. Du findest dich nicht zurecht, die Dinge strömen vorüber, nichts kann festgehalten und kontrolliert werden. Wenn wir versuchen, den Dingen nachzulaufen, werden wir schneller und drehen uns um uns selbst. Man kommt aus dem Gleichgewicht und aus der eigenen Mitte heraus, so wie ein Schiff auf zu schneller Fahrt ins Schlingern gerät und zu sinken drohen muss. Es ist sehr einfach etwas dagegen zu unternehmen. Du musst überhaupt nichts tun.
Das Leben ist etwas Luftiges und Leichtes. Etwas Luftiges und Leichtes kann nicht festgehalten und kontrolliert werden. Etwas Luftiges und Leichtes kann von hierhin nach dorthin hüpfen, es kann fliegen und die Welt aus neuen Perspektiven wahrnehmen. Das macht eine Menge mehr Spaß, als wie ein ungebackenes Brot auf dem Blech zu kleben und darauf zu warten, in den Ofen geschoben zu werden.
Wären wir alle glücklich, brauchte es diesen Text nicht. Niemand würde geschrieben haben, und niemand hätte wirkliche Lust zu lesen. Stattdessen würden wir beisammensitzen und aller Wahrscheinlichkeit nach eine Menge Spaß miteinander haben. Natürlich gehören zum Glück Vorstellungen darüber, wie man es erlangt …
Eine dieser Vorstellungen ist, man werde durch jemanden glücklich gemacht. Lässt dieses auf sich warten, hat man sich in Geduld zu üben. Eine andere Vorstellung ist, Unglücklichsein sei völlig normal. Schaut man sich unter den Menschen um, findet man sich bestätigt. Mancher wiederum sagt, Glück sei nicht von Dauer, es sei so flüchtig, dass man zweifeln müsse, ob es Glück überhaupt gibt. Außerdem trifft man auf Überzeugungen wie: Glück liegt in irgendwelchen Dingen, nämlich in Büchern, Philosophien, Religionen oder Weltanschauungen verborgen. Ebenso falsch ist, Glück sei eine Gnade, die man empfängt oder nicht. Manche sagen einem dann, wie man es anstellen kann, Glück zu empfangen – indem man Gutes tut, aufrichtig glaubt, Gehorsam übt, Enthaltsamkeit praktiziert und lauter solchen Unfug. Seltsamerweise werden die meisten dieser Ansichten von Leuten vertreten, die selbst unglücklich sind. Auf sie zu hören, ist wie in einer Apotheke Brötchen kaufen zu wollen.
Worin findet man es? Es ist wichtig zu begreifen, dass das Glück nicht außerhalb von einem selbst liegt. Wäre es so, könnte man es tatsächlich erwerben, in etwas finden, geschenkt bekommen oder es sich sonst wie verschaffen. Glück ist kein Besitz, sondern ein Zustand, und dafür ist niemand anderer als Du selbst verantwortlich. Du kannst es nicht teilen, nicht verschenken, also kann es auch kein anderer. Du musst überhaupt nichts unternehmen.
Es braucht keinen Weg. Alles Herumrennen und Suchen dient nur dem Zweck, das zu erkennen. Eine Erkenntnis, die man auch einfacher hätte haben können. Da aber augenscheinlich niemand davon weiß, läuft alles durcheinander. Aber die Erde dreht sich schon. Dreh‘ Dich doch einfach mit.
Das Glück kann man nicht erkämpfen. Kämpfen ist immer der Weg zu irgendetwas, aber das Glück ist schon da. Niemand muss mehr tun, als sich in ein Gleichgewicht begeben; und das ist nicht einmal schwer. Ganz im Gegenteil, denn das Glück ist etwas leichtes. Es gibt kein Recht auf Glück. Das Glück wird nicht dem einen verliehen, während es dem anderen vorenthalten bleibt. Auch wenn wir vielleicht der Meinung sind, jeder hätte ein Recht auf eine solche Verleihung. Glück ist eben keine Auszeichnung für geleistete Arbeit und eben sowenig ein Produkt von Zufällen. Es ist in Dir, in nichts als in Dir selbst zu finden. Menschliches Wachstum ist unabhängig von materiellen Reichtümern über das Notwendige hinaus.
Gleich, wie viel Geld Du verdienst, es wird nie genug sein. Deine Ansprüche wachsen mit Deinen Möglichkeiten. Ist es in Deinem Leben nicht immer schon auf diese Weise zugegangen? Wie viel immer auch vorhanden war, nie konnte es genug sein; jedes Mal fordertest Du mehr. Wohin soll das führen, wann Schluss damit sein? Du passt Dich dem Umstand des vielen Geldes an. Mehr geschieht nicht. Dann verschiebst Du immerfort Glück und Wohlbefinden auf später und stürzt Dich in abstruse Vergnügungen, die Du in Unkenntnis der Sache für ein Glück hältst. Was immer es ist, diese Art von Spaß währt nur Minuten und Stunden. Anschließend bist Du leer wie zuvor und tust Dich nach neuen Zerstreuungen um. Du jagst Dir selbst nach, denn das Glück, das bist Du schon. Glück, ausgelöst durch unsere Umgebung oder andere Menschen, ist etwas sehr Unbeständiges. Wer auf diesem Wege marschiert, kann niemals einhalten; denn was dieser für ein Glück hält, schwindet, sobald es erlangt ist.
Es ist verbreitet, Glück als eine Ware oder als ein seelisches Nahrungsmittel anzusehen; als etwas, das es zu erlangen, zu erobern, nicht jedoch aus einer Persönlichkeit heraus zu entwickeln gilt. Glück ist unmittelbar. Es kann angeregt, aber nicht übertragen werden. Glück ist eine Eigenschaft des entwickelten Menschen und ist in jedem von uns angelegt. Du musst nichts weiter tun, als dies zu erkennen, um es zur Entfaltung zu bringen. So einfach kann es nicht sein, denkst Du …
Wer Dir sagt, Glück sei eine Gnade und nur unter Schwierigkeiten und Gehorsam zu erlangen, weiß nichts davon und will Macht über Dich, an Deinem Glück ist er nicht interessiert. Leider ist es so, dass viele von uns ihrem Urteil nicht trauen und hinter dem fröhlichen Gesicht ihres Gegenübers Gemeinheiten vermuten. Das ist nicht weiter verwunderlich in einer Schauspieler verehrenden Welt. Wir bewundern Masken und Make-up, nicht, was dahinter steckt. Das Dahinter wollen wir gar nicht kennen. Wir fürchten uns davor. Dies ist auch der Grund, warum wir uns selbst Masken anlegen. Wir versuchen, Glück zu erlangen, indem wir uns geben, wie man uns glauben machte, dass sich glückliche Menschen benehmen. Dabei verhalten wir uns wie die allergemeinsten Lügner. Aber niemand muss das tun.
Wie wäre es, wenn Du annimmst, Du seist ganz und gar komplett? So wie Du bist, bist Du ganz und gar »richtig«. Du musst nichts Besonderes suchen, nichts erstreben, weder etwas erlangen noch etwas herbeiwünschen. Es ist alles schon da, in Dir – natürlich auch das Glück. Wenn Du so denkst, kann es geschehen, dass Du es plötzlich bist, Dein Glück. Nun könntest Du einwenden: Wie kann ich das? Ich habe Sorgen, es ist nicht leicht …
Was Dich bedrückt, das bist auch Du. Du bedrückst Dich selbst und machst Dich schwer. Wenn etwas Dich unglücklich macht, wirf es fort. Wozu willst Du es festhalten?
Das Leben scheint für viele Menschen nicht sehr viel übrig zu haben. Wenn das Glück nicht in Dingen wie Arbeit, Hobby oder Geld zu finden ist, dann sucht man es in einer Beziehung. Jemand soll kommen, das Glück bei sich haben und aus vollem Herzen verschütten. Menschen konsumieren sich gegenseitig, als seien sie Waren. Ist das Glück dann aufgebraucht, geht man zerrissen auseinander. Sobald Du Glücklichsein auf diese Weise forderst, setzt Du Dich unter Druck und erschaffst Dir Dein Problem.
Alle Welt fordert: Man muss glücklich sein. Glück allein ist wichtig. Tatsächlich?
Unfug ist das, denn es entsteht von selbst: durch Leben. Und das tust Du bereits. Willst Du es dennoch suchen, was soll dabei herauskommen? Das wäre, als suchtest Du die Mütze, die auf dem Kopf trägst. Sinnlos, nicht wahr?
Wenn Du es jetzt nicht sein kannst, wirst Du es niemals sein, denn es wird nichts mehr hinzukommen. Was Du zu Deinem Glück brauchst, ist bereits vorhanden. Was immer aber zu Dir kommt und Du dann für Dein Glück hältst, wird schnöde Illusion sein – etwas, das Dir bald Kummer bereiten wird. Was also fehlt Dir?
Entdecke das Glück in Dir selbst, nicht in den Dingen. Und wenn Du es spürst, dann lass es los.
Gib Dich ihm hin, aber unternimm nichts. Glücklichsein ist wie Schwimmen. Man kann sich im Wasser bewegen, wenn man sich ihm anpasst. Unweigerlich jedoch wird man ertrinken, sobald man sich sperrt oder besitzergreifend zupacken will. Wer glaubt, man müsse sein Glück festhalten, irrt. Glück ist etwas Fließendes; festhalten bewirkt nur, dass es aufhört.
So gesehen, ist Glücklichsein keine Sache von Minuten oder Stunden, sondern etwas fürs Leben. Es ist Deine eigene Bewegung, deren Zauber Du spürst.
Das Buch vom unbeschwerten Leben
Unglücklich sein kann jeder. Wie es anders geht, was man tun oder besser lassen kann, erfahren Sie hier. Lebenshilfe, Taoismus, Esoterik. Mit diesen Themen hatte ich mich Anfang der neunziger Jahre beschäftigt. Dieses Werk wurde in den Jahren 1991 (gebunden) sowie 1993 (Taschenbuch, 84 Seiten) zweimal in gedruckter Form herausgegeben.